
Ich habe noch ca. fünf Bücher hier herumliegen, die ich längst rezensiert haben wollte. Dennoch schiebe ich diese Rezension jetzt ein, weil es mir in den Fingern kribbelt. Ich habe zu „Feuer im Schatten” und die Fortsetzung so unglaublich viel zu sagen, dass ich hier schon einmal zwei Warnungen aussprechen möchte: Diese Rezension wird nicht spoilerfrei und sie wird lang (Band 2 musste sogar ausgelagert werden und kommt die Tage). Also holt euch ein Käffchen und was zum Snacken, denn ich finde, die Rezension lohnt sich dennoch. Sie wird sehr unterhaltesam, weil ich ranten werde, wie schon lange nicht mehr.
KLAPPENTEXT
Als Mitglied der Königsfamilie bewahrt Sascha das wohl bestgehütete Geheimnis im Reich der Schattendrachen. Dass sie eine Prinzessin ist und nicht der Prinz, der sie zu sein vorgibt, darf niemand je erfahren. Denn damit wäre nicht nur der Thron in Gefahr, sondern auch ihre gesamte Familie. Doch bei einem königlichen Wettbewerb droht Saschas Tarnung aufzufliegen. Während sie schon drauf und dran ist, allem zu entfliehen, trifft sie auf den Prinzen der Lichtdrachen. Obwohl Colins himmelblaue Drachenaugen jeden in den Bann ziehen, darf er niemals von Saschas wahrer Identität erfahren …
Quelle: Carlsen
Eigentlich braucht es bei dieser Rezension keinen Klappentext, weil ich sehr ausführlich auf den Inhalt eingehen werde. Aber es gibt genau zwei Dinge, die ich an diesem Buch gut finde: Den Titel und den Klappentext. Deshalb kommt er auch in dieser Rezension vor. Und damit ihr die Fallhöhe versteht, die ich beim Lesen dieses Buches erlebt habe.
Ich bin ganz ehrlich, ich liebe Drachenbücher. Und hier die Mischung aus Drachen und Mulan-Story haben mich sofort angesprochen. Noch dazu habe ich schon länger kein Jugendfantasy mehr gelesen. Ich hatte richtig Lust darauf! Die ist mir aber leider schnell vergangen.
EIN MEHR ALS WACKELIGES GRUNDGERÜST
Dass dieses Buch meine Erwartungen Null-Komma-Garnicht erfüllen würde, hat sich ziemlich schnell gezeigt – schon nach den ersten Seiten. Denn während ich eine coole Mulan-Story erwartet habe, habe ich vollkommen unlogische Erklärungen für ein wackeliges Grundgerüst für eine Handlung erhalten.
Damit ihr das besser versteht, hier mal Grundlegendes: In diesem Buch geht es um Drachen, also Menschen, die sich in Drachen verwandeln können. Diese Erklärung trifft es nicht ganz, aber das kommt erst im zweiten Band raus, deshalb komme ich dazu später noch. Jedenfalls ist das Reich in unterschiedliche Königreiche geteilt, die von Drachenfamilien beherrscht werden. Gewöhnliche Menschen sind lediglich Untertanen.
Und jetzt kommen wir zu der absolut unlogischen Erklärung, die Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Handlung ist: Sascha muss sich als Prinz ausgeben, weil das erstgeborene Kind eines Königs ein Junge sein muss. Nur ein männlicher Erstgeborener steht für die Macht der Königsfamilie. Wenn man also wüsste, dass Sascha ein Mädchen ist, würde man das Königreich angreifen.
Das scheint Tradition in diesem Königreich zu sein. Und für sich alleine noch gar nicht so schlimm, denn Fantasybücher leben ja von Traditionen und Mythen. Das könnte also schon irgendwie halbwegs plausibel sein, würde nicht erwähnt werden, dass Sascha abdanken könnte. Sie könnte von der Thronfolge zurücktreten, was wohl auch häufig in königlichen Familien vorkommt. Dann könnte ihr Bruder nachrücken und sie unter einer anderen Identität ein normales Leben führen, als Frau. Was ja auch für die gesamte Familie sicherer wäre, weil ihr dann keiner auf die Schliche und das Königreich angreifen könnte. Aber das geht nicht und die Erklärung dafür ist die erste in einer Reihe grandios-unlogischer Erklärungen: So lange der König lebt, wird keines seiner Kinder abdanken! Oder mit meinen Worten: WEIL HALT!
WENN DIE AUTORIN DIE STRIPPEN IN DER HAND HAT
Hier beginnt das ganz offensichtliche Lenken und Steuern der Autorin. Damit ihre Geschichte funktioniert, müssen bestimmte Eckdaten vorhanden sein und Handlungsstränge verlaufen. Also tun sie das auch. Weil die Autorin das so sagt. Dass die Logik da nicht ganz mitspielt und die Handlung einiges einfach nicht hergibt, scheint nicht zu stören. Also die Autorin scheint es nicht zu stören, mich dagegen ganz gewaltig.
Ich meine, man hätte wahnsinnig viele Erklärungen finden können, die alle halbwegs besser begründet hätten, weshalb eine weibliche Erstgeborene so schlimm ist. Zum Beispiel dass die weiblichen Erstgeborenen einem Gott geopfert werden müssen. Oder sie das einzige Kind wäre und damit die Thronfolge jemand anderem zufallen würde. Aber sie hat ja Brüder, damit hat sich dieser Ausweg auch erledigt. Ehrlich gesagt wäre alles logischer gewesen als diese abstrusen „Weil halt”-Erklärungen. Und die ziehen sich leider durch die gesamte Dilogie.
Am Lustigsten finde ich daran eigentlich, dass die Autorin ihr eigenes unlogisches Konstrukt enthebelt, in dem sie die Möglichkeit des Abdankens erwähnt. Sie beschreibt einen möglichen Ausweg, liefert dann aber keine einleuchtende Begründung dafür, weshalb er nicht genutzt werden kann. Mir fehlen da echt ein bisschen die Worte, weil das so extrem konstruiert und – Entschuldigung – lächerlich ist.
BIZARRE HANDLUNGSVERLÄUFE
Wie bereits erwähnt: Das ist erst der Anfang. Danach gehen die unlogischen Konstrukte erst richtig los. Beispielsweise auf dem königlichen Ball, auf dem der Erzfeind von Saschas Vater (ich nenne ihn zur einfacheren Erklärung zukünftig nur noch „der böse König”), fordert, dass Prinz Sascha sich beweist. Das ganze soll in einem Turnier geschehen, in dem alle Prinzen oder anderen Drachen-Adeligen gegeneinander kämpfen sollen. Kurze Info vorab: Sascha darf sich nicht verwandeln, weil das irgendwie ihr Geheimnis verraten würde. Wie genau, war mir auch ganz lange nicht klar, das habe ich dann erst am Anfang des zweiten Bandes erfahren. Deshalb will ich hier auch noch nicht vorgreifen.
Sascha darf sich nicht verwandeln und der Beweis ihrer Stärke soll in einem Turnier stattfinden, in dem sie gegen andere Drachen kämpfen soll, die sich sehr wohl verwandeln. So weit so gut, man könnte meinen, dass Saschas Vater sich darauf gar nicht erst einlässt, aber der sagt: „Das klingt nach einem wunderbaren Spiel!”
Könnte ich hier Emojis einfügen, würde ich das jetzt tun. Stellt euch bitte eine ganze Reihe Emojis vor, die Tränen lachen. Denn natürlich klingt das nach einem wunderbaren Spiel, an dessen Ende entweder das Königreich angegriffen wird, weil rauskommt, dass Sascha eine Frau ist, oder an dem das Königreich angegriffen wird, weil der Thronfolger schwach wirkt, weil er sich nicht verwandeln kann/darf.
Also ja, das wird ein ganz lustiges Spiel.
Gut, wir würden hier natürlich kein Fantasy-Buch mit Heldin lesen, wenn eine dieser Varianten eintreten würde. Noch dazu lesen wir hier ein Buch, in dem sich die Autorin alles so hinbiegt, wie es für ihre Story passt – keine Rücksicht auf Verluste. Wir müssen uns also keine Sorge um Saschas Schicksal machen. Zumindest noch nicht.
TROTZDEM IRGENDWIE UNTERHALTUNG PUR
Ich möchte erwähnen, dass ich das Buch unter normalen Umständen an dieser Stelle ziemlich wahrscheinlich abgebrochen hätte. Denn mal ehrlich: Wie lächerlich kann es ab hier noch werden? (Ihr habt keine Ahnung!)
Dass ich nicht abgebrochen habe, hat nur einen einzigen Grund: ich habe mich unterhalten gefühlt. Ja, hier hat sich schon rausgestellt, dass dieses Buch garantiert kein 5-Sterne-Buch wird, aber es war bis dahin schon lustig. Vor allem, weil ich während dem Lesen nonstop im Austausch mit tollen Freundinnen war (die nebenbei allesamt Autorinnen sind). Und dieser Austausch war die Quälerei durch das Buch echt wert, weil es dadurch keine Quälerei mehr war, sondern verdammt unterhaltend. Denn jede von ihnen hatte ihren Senf dazuzugeben und einige Kommentare haben mich so sehr zum Lachen gebracht. So ist auch unser ganz eigener Titel für die Dilogie entstanden: Die Gender-Drachen.

DAS ALLES ENTSCHEIDENDE TURNIER
Aber weiter im Text: Wir befinden uns jetzt mitten im Turnier. Und mal ehrlich: Ein Turnier mit Drachen? Klingt eigentlich ziemlich cool. So wie alles an diesem Buch eigentlich cool klingt. Aber leider halt nur auf den ersten Blick. Der Sohn des bösen Königs nimmt natürlich auch am Turnier teil. Und da ihre Väter Erzfeinde sind, meint man, dass das bei Sascha und Collin auch der Fall sein müsste. Ist es aber nicht, denn Collin ist überraschenderweise total nett und ganz anders als ein Vater (ja, Überraschung!). Sie verbünden sich im Turnier und kommen sich auch näher.
Natürlich errät er sofort, dass sie eine Frau ist. Das erkennt er an den Händen und Lippen und weil sie die schönste Frau überhaupt ist. Er versteht gar nicht, wieso das bisher noch niemand bemerkt hat. Geht mir auch so, ich verstehe das ebenfalls nicht. Nicht mal ihre Brüder haben es gemerkt, nicht mal ihr bester Freund und Leibgarde. Es ist so verdammt lächerlich.
UNLOGISCHE FAMILIENGESCHICHTE, DIE ZWEITE
Ihr denkt sicher, jetzt wären wir am Ende der Märchenstunde angekommen. Da muss ich euch leider enttäuschen, es wird noch wilder!
Denn jetzt erfahren wir etwas über Colins Familiengeschichte. Und hier möchte ich eine Content Note zu Suizid aussprechen.
Collins Vater aka der böse König ist dafür bekannt, seine Frau umgebracht zu haben. Er vertraut Sascha aber jetzt die wahre Geschichte an. Die Brüder des bösen Königs haben sich wegen dem Thron gegenseitig umgebracht (jetzt fällt mir auf, dass wir später noch zu einer anderen Variante der Geschichte kommen. Die ist aber leider nicht glaubwürdiger), weshalb er selbst nie mehrere Söhne haben wollte. Die sollen sich nicht auch gegenseitig umbringen. Deshalb haben sich der böse König und seine Frau nach Collins Geburt verabredet (ohne Mist, so steht das in diesem Buch), damit er sie umbringen kann. Er konnte es aufgrund seiner Gefühle für sie aber nicht (können wir hier kurz festhalten, dass ein männlicher Drache etwas aufgrund seiner Gefühle nicht konnte, und genau dieser männliche Drache Sascha später vorwerfen wird, dass sie schwach ist, weil sie eine Frau ist?). Collins Mutter hat sich letztendlich selbst umgebracht, um dem bösen König die Angst zu nehmen, dass sich seine Söhne mal gegenseitig abschlachten.
Sie hat sich also umgebracht, damit sie nicht mehr als einen Sohn haben. Gute Erziehung oder Abstinenz schien wohl keine akzeptable Alternative gewesen zu sein …
Die Moral von der Geschichte, die sich Collin daraus zieht: Er versteht gar nicht, wieso Drachen Frauen als nicht stark genug zum regieren empfinden. Weil es war doch sehr stark von seiner Mutter, ihr Leben unter das ihres Sohnes zu stellen.
Die Moral von der Geschichte für mich als Leserin: Nur eine tote Frau ist eine gute (starke) Frau.
Das kuriose dabei ist, dass die Autorin die Handlung so aufgebaut hat, dass sie etwas feministisches haben soll. So von wegen „Frauen sind stark und können alles!”, aber in dem Buch geht es halt die ganze Zeit ausschließlich um das Gegenteil.
WEITER BEIM TURNIER
Wir befinden uns übrigens immer noch beim Turnier und auf einmal tauchen Verbündete von Collin auf, die alles dafür tun, dass er das Turnier gewinnt. Der Grund: sie wollen sich beim bösen König Gehör verschaffen. Ihr lest richtig, es geht nicht darum, den bösen König zu stürzen, sondern erst mal töten sie die ganzen Drachenprinzen im Turnier, um sich lediglich Gehör zu verschaffen. Wie diplomatisch.
SINNLOSE SEXISTISCHE SZENEN GAB‘S GRATIS DAZU
Für das Ende des Turniers brauchen wir wieder eine Content Note. Ich bin mir nur nicht sicher, wie ich sie bezeichnen soll: Nacktheit, Unterwerfung, einfach nur unnötiger, sexistischer Bullshit.
Das Turnier ist gewonnen und Sascha wird vom bösen König ein Schmuckstück untergeschoben, um sie wegen Diebstahls in den Kerker schmeißen zu können. Er vermutet schon, dass mit Prinz Sascha etwas nicht stimmt und zwingt sie, sich auszuziehen. Vor ihm und seinen Wachen. Die glotzen ihr dann natürlich auch direkt auf die Brüste. Der böse König nimmt ihr die Kleidung weg und lässt sie nackt im Kerker zurück.
Ich finde diese Szene einfach nur furchtbar. Vor allem in einem Jugendbuch. Und da es später mit keinem Wort mehr erwähnt wird, hätte man es sich auch einfach sparen können. Ganz ehrlich.
Natürlich rettet Collin sie, wie sollte es auch anders sein. Schließlich soll dieses Buch auf irgendeine abstruse Weise zeigen, dass Frauen auch stark sind. Wie sollte man das anders machen als mit dem „Jungfer in Nöten”-Klischee. Ich würde hier jetzt Ironie off schreiben, aber das klappt heute wohl auch nicht mehr.
EIN KRIEG STEHT BEVOR
Der böse König kennt also Saschas Geheimnis und steht mit seiner Armee vor den Toren des Schlosses. Denn wir erinnern uns: eine weibliche Erstgeborene ist ein Zeichen der Schwäche des Königshauses. Man könnte meinen, dass Saschas Familie nun endlich mit der Scharade aufhört, aber natürlich nicht. Sie behaupten, dass der böse König sich das nur einbildet und nicht mehr ganz klar ist. Mittlerweile hat es schon jeder zweite im Buch erwähnte Charakter von selbst herausgefunden, aber sie bleiben bei der Lüge. Das nenne ich Mut … oder so ähnlich.
Hierzu ein Zitat aus der Freundinnen-Gruppe: Es ist schön, dass es schon so viele Tote und so viel Gewalt in dem Buch gibt, aber die Gender-Frage immer noch die wichtigste von allen ist.
Collin steht auf dem Schlachtfeld übrigens nicht auf Saschas Seite. Er muss schließlich zu seinem Vater und Land halten. Das mit dem „Gehör verschaffen” hat also nicht ganz so gut geklappt. Jedenfalls sehen die beiden sich vor der großen Schlacht noch einmal wieder, es wird gefühlsduselig, sie gestehen sich ihre Liebe und weinen, weil sie sich zukünftig als Feinde begegnen. Wo die Gefühle genau herkommen, kann ich nicht so richtig nachvollziehen, vielleicht bin ich während des Turniers beim Lesen mal eingeschlafen und mein Tolino hat mich nicht nach ein paar Seiten gefragt „Sind Sie noch da? Wollen Sie weiterlesen?” wie Netflix das gnädigerweise tut. Wahrscheinlicher ist aber, dass es einfach nicht vorkam.
Der letzte Satz des Buches ist in etwa so, dass Sascha nachdenkt und zu dem Schluss kommt, dass sie nicht so viele Menschen für ihre Lüge kämpfen lassen kann.
Die große Frage ist also: Wird sie das Geheimnis lüften?
FAZIT
Durchgehalten habe ich dieses Buch wirklich nur, weil der Austausch mit meinen Freundinnen dabei so unterhaltsam war. Wir haben tagelang über dieses Buch diskutiert und das war fast schon ein Highlight für mich. Das Buch an sich allerdings überhaupt nicht. Es war absolut unlogisch und ich frage mich ernsthaft, wie es dieses Buch samt Logiklücken durch ein Lektorat geschafft hat. Die Autorin lenkt das Geschehen wie es ihr gerade passt, was aber leider den natürlichen Handlungsfluss so komplett unterbindet, dass man nur noch ein nicht funktionierendes Konstrukt vor sich hat.
FEUER IM SCHATTEN von Aurelia L. Night
2020 | 334 Seiten
erhältlich als Paperback | eBook
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